Sachsen-Anhalt blamiert sich bei Böhmermann. Wie schlimm ist es?

Ein großangelegtes Rechercheexperiment des ZDF Magazin Royale brachte tiefe Lücken bei der polizeilichen Verfolgung von Hass im Netz zum Vorschein.

Bundesweit hatten sich 16 Korrespondent*innen der Redaktion um Jan Böhmermann auf den Weg gemacht, Kompetenz und Motivation der deutschen Polizeibehörden zu testen. Mit im Gepäck hatten sie sieben in der Wortwahl unzweideutige Kommentare, an deren Strafbarkeit keine Zweifel bestehen. Sie waren nicht inszeniert, sondern wurden genau so auf verschiedenen Plattformen gepostet. Darunter beispielsweise:

Das Ergebnis des Experiments ist ernüchternd. In den wenigsten Bundesländern (wie etwa Hessen) wurde professionell und wertschätzend mit den Anzeigeersteller*innen umgegangen. Ermittlungen dauern monatelang an, Betroffene werden nicht benachrichtigt.

Schlimmer noch: Erkennbar ist in weiten Teilen sogar ein mangelndes Bewusstsein bzw. Sensibilität der Polizei darüber, dass Hasskommentare strafbar sein können.

In besonderer Weise irritiert hier das Erlebnis einer Korrespondentin des Magazins, das sie mit der Polizeidienststelle in Magdeburg hatte. Hier kam es nicht einmal zur Aufnahme der Anzeige. „Haben Sie keine anderen Sorgen?“ musste sich die Frau stattdessen von einem patzigen Beamten anhören und gelang tatsächlich gar nicht erst in die Wache. Man verwies die Journalistin lediglich an die Plattformbetreiber. „Die [die Hasskommentare] treten hundertfach auf, was sollen wir da machen?“, entgegnete der Polizist weiter. Man stelle sich nur vor, das würden alle machen. „Dann würden Sie dahinten Schlange stehen!“ Ein Einwurf, der auf den ersten Blick zwar durchaus richtig ist. Tatsächlich ist ja das Internet voll mit strafrechtlich relevanten Beiträgen, eine Übersicht ist da kaum mehr möglich. Und die Ermittlungen können durch die technischen Schwierigkeiten mitunter andauern.
Jedoch kann dies selbstverständlich nicht dazu führen, dass sich die Polizei nicht mehr zuständig fühlt. Schließlich müssen wir doch gerade dann, wenn bestimmte Straftaten zahlenmäßig und dadurch die Sicherheitsbedenken der Gesellschaft zunehmen, weiter auf die Polizei vertrauen können.

Wir von Fairsprechen sind über die Erkenntnisse aus dem Experiment erschüttert. Es ist traurig, dass sich gerade die Polizei in unserer Heimatstadt in Sachsen-Anhalt derart blamierte. Dies kann zumindest in Teilen nur darauf zurückzuführen sein, dass Beamt*innen im Umgang mit Online-Straftaten nicht genügend geschult sind.

Wir glauben und hoffen dennoch, dass es sich bei dem Verhalten gegenüber der betroffenen Korrespondentin um eine Ausnahme handelt, die rigoros und umfänglich aufgearbeitet werden wird. Das schließt eine Aufnahme von Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden gegen den handelnden Polizisten wegen des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt mit ein.

Diese Hoffnung ist mehr als berechtigt. Denn Sachsen-Anhalt hebt sich entgegen den Eindrücken aus der Show vom Freitag bei der Bekämpfung von Hass im Netz durchaus positiv hervor. So ist das Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit in dieser Form eine Besonderheit, die auch dem Projekt Fairsprechen seine Tätigkeit ermöglicht. Wie sich aus der Beantwortung einer kleinen Anfrage an die Landesregierung vom 15.03.2022 ergibt, sind innerhalb des LKA zumindest elf Beamt*innen (11 von 14 Dienstposten sind derzeit besetzt) mit der Ermittlung in Fällen von digitaler Gewalt betraut. Und die Online-Wache zur Aufnahme von Strafanzeigen funktioniert in Relation zu denen der anderen Länder vorbildlich und mit der Möglichkeit, Dateien hochzuladen.

Eine allzu pessimistische Sicht verbietet sich daher für uns. Letztlich kann die Sensibilität der deutschen Polizist*innen für Straftaten im Problemfeld der digitalen Gewalt auch nicht losgelöst von der Bereitschaft der Zivilgesellschaft, das Problem anzugehen, betrachtet werden. Erst wenn ein gesellschaftlicher Konsens darüber erzielt wird, dass das Internet kein Safe Space für Beleidigungen, Volksverhetzungen, Drohungen oder Cybermobbing darstellt, kann sich nachhaltig etwas ändern.

Bis dahin gilt: Sich weder von staatlichen Akteuren noch von Plattformbetreibern einschüchtern lassen und Hasskommentare melden, Gegenrede leisten und die Taten anzeigen! Wir helfen dabei!

Seid ihr bei der Polizei gewesen, euch wurde die Aufnahme einer Anzeige verweigert und ihr fragt euch nun, was ihr tun könnt? Auch dabei beraten wir euch gerne!